Prof. DDr. Wolfgang Dietrich

Wolfgang Dietrich wurde 1956 in dörfliche Nachbarschaft, aber eine Familie von Unternehmerinnen und Juristen geboren. Seine Vorfahren waren am Ende des Zweiten Weltkriegs als Vertriebene nach Tirol gekommen. Diese familiäre Prägung weckte sein frühes Interesse an Fragen sozialer Gerechtigkeit, für Menschenrechte und Demokratie, für Inklusion und Exklusion bestimmter Gruppen und Personen, für psychische Dynamik in Gemeinschaft und Kultur.

Deshalb studierte er nach Ableistung seines Militärdienstes zuerst Geschichte und Germanistik an der damals Geisteswissenschaftlich genannten Fakultät der Universität Innsbruck. 1980 schloss er das mit einer Dissertation aus Wirtschaft- und Sozialgeschichte und der Promotion zum Doktor der Philosophie ab.
An der Rechtswissenschaftlichen Fakultät derselben Universität promovierte er 1984 zum Doktor Juris, wobei sein besonderes Interesse dem Völkerrecht galt.
Schließlich habilitierte er 1990 an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät seiner Heimatuniversität für die gesamte Politikwissenschaft mit einer Schrift über die Friedensbemühungen in Zentralamerika.
Während dieser Studien belegte er auch Kurse in weiteren Fächern. Vor allem aber befasste er sich mit Problemen und Fragen der Menschenrechte. In diesem Bereich engagierte er sich auch praktisch. In den politisch spannenden Jahren 1989-1991 brachte ihn das in die Position des Vorstandsprechers der österreichischen Sektion von amnesty international. .
Das Interesse an Menschenrechten führte ihn schon als Student nach Zentralamerika. Aus der eindrücklichen Erfahrung dort entwickelte sich eine Laufbahn als wissenschaftlich orientierter Praktiker und praxisorientierter Wissenschaftler. Schrittweise wandte er sich ganz Lateinamerika und Konfliktregionen anderer Kontinente zu. Dabei verlagerte sich sein zuerst eher juristisch angelegtes Interesse an Menschenrechten zu mehr politologischen, philosophischen, psychologischen und kulturwissenschaftlichen Fragen.

Dass die Wiener Weltkonferenz für Menschenrechte von 1993 die damalige Kulturdebatte streng im Sinne des ethischen Universalismus entschied, beförderte seine Hinwendung zur damals noch jungen Friedens- und Konfliktforschung. Die interpretierte er, wie etwa der erste Inhaber eines Lehrstuhls für Friedenswissenschaft in Europa, Adam Curle an der Universität Bradford, als junge Transdisziplin. Damit war das Amalgam aus Wissen und Methoden älterer Fächer wie Politikwissenschaft, Völkerrecht, (humanistischer) Psychologie, (postmoderner) Philosophie, (interpretativer) Ethnologie, (demokratischer) Pädagogik und anderer. gemeint. Aufgrund seiner Ausbildung und Praxis in mehrerer dieser Disziplinen verkörperte er diesen Zugang auch biographisch.
Wolfgang Dietrich hielt auf Einladung von Anton Pelinka am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck 1986 seine erste Lehrveranstaltung. Von da aus wirkte er durch vier Jahrzehnte an unterschiedlichen Fakultäten ungezählter Universitäten auf allen Kontinenten als Lehrender.
Von 1995 bis 2007 war er akademischer Direktor des Österreichischen Lateinamerika-Instituts (LAI). In dieser Zeit entwarf und koordinierte er wissenschaftlich den Lehrgang universitären Charakters für Lateinamerika-Studien, Master of Advanced Studies nach §§ 27 und 28 Universitäts-Studiengesetzes 1997.
Aus den zahlreichen Aufgaben, die er in diesen Jahren für das LAI übernahm, ragt die wissenschaftliche Vorbereitung und Koordination der Konferenzreihe Regionale Integration, interkontinentale Kooperation EU – Lateinamerika und die Frage von Armut, Entwicklung und Demokratie (REAL 2006) am Rande des EU-Lateinamerika-Gipfels während der österreichischen EU-Präsidentschaft 2006 heraus.

Ebenfalls 1995 wurde er wissenschaftlicher Direktor der European Peace University EPU in Stadtschlaining. Auch für die schrieb er das Curriculum eines Master-Lehrgangs universitären Charakters nach §§ 27 und 28 des Universitäts-Studiengesetzes 1997.
Es folgten einige Jahre zum Teil durch das damals neue APART-Programm der Österreichischen Akademie der Wissenschaften finanzierter Feldforschung. Er arbeitete in Afrika, Südostasien und neuerlich Lateinamerika. Oft lehrte er im Master für Frieden und Entwicklung an der Universitat Jaume I in Castellón de la Plana/Spanien. 2001 rief man Dietrich zurück nach Innsbruck. Er sollte den Universitätslehrgang für Frieden, Entwicklung, Sicherheit und Internationale Konflikttransformation aufbauen. Unter seiner inhaltlichen und didaktischen Leitung durch zwei Jahrzehnte erwarb sich der einen international herausragenden Ruf.
Wolfgang Dietrich verband seine akademische Karriere stets mit praktischer Feldarbeit. Durch Jahrzehnte fungierte er als Gutachter und Berater von Einrichtungen des staatlichen wie des nicht-staatlichen Sektors. Er wirkte aktiv an Projekten praktischer Friedens- und Konfliktarbeit mit und leitete solche auch selbst. Seit 2014 unterstützte er die Errichtung und Weiterentwicklung des Postgraduierten Programms formação de agentes de paz von Paz&Mente in Florianopolis/Brasilien. Seit 2018 entwickelte er Curricula für Friedensstudien an mehreren Universitäten des Irak. Dies wurde von der Iraqi Al Amal Association koordiniert.
Schon die ersten Publikationen Wolfgang Dietrichs zu den politischen Entwicklungen in Zentralamerika stießen auf öffentliche Aufmerksamkeit, weil sie in der Zeit vor dem Internet systematisch aufbereitete Fakten aus einer im deutschen Sprachraum kaum bekannten, aber plötzlich lebhaft diskutierten Weltregion boten.
Aus seinem umfangreichen Oeuvre in vier Jahrzehnten ragen aber die friedenswissenschaftlichen Texte heraus, die vom Ruf nach den vielen Frieden in den 1990er Jahren über die transrationale Friedensphilosophie seit der Jahrtausendwende bis zum Vorschlag des handlungs- und geschehensorientierten Sprechens über das Frieden am Ende seiner Laufbahn reicht:


Wolfgang Dietrich wurde 2008 zum UNESCO Chairholder for Peace Studies an der Universität Innsbruck ernannt. Eigentlich ist das eine mit viel Arbeit und Verantwortung verbundene Funktion, die er 15 Jahre lang bekleidete. Aber er hat dies immer als Ehre und Auszeichnung für sein Team an der so genannten Innsbrucker Schule der Friedensforschung gewertet.

In derselben Weise war die Ernennung zum Honorarprofessor 2015 zwar eine große Anerkennung durch seine Heimatuniversität, zugleich aber, wie es der damalige Rektor Tilman Märk in seiner Festrede hervorhob, Aufforderung zu fortgesetzter Anstrengung für die Friedensforschung in Innsbruck.
In diesem Sinn wurde 2017 der Arbeitsbereich für Friedens- und Konfliktstudien unter seiner Leitung eingerichtet. 2018 folgte das Forschungszentrum für Friedensforschung, das er gemeinsam mit Josefina Echavarria leitete, bis beide die Universität verließen. 2015 wurde Wolfgang Dietrich auch von der Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer ARGE ALP zum Friedensbotschafter des Alpenraums ernannt.
2020 war er auf der Liste der 211 Persönlichkeiten, die für den Friedensnobelpreis dieses Jahres vorgeschlagen wurden.

Wolfgang Dietrich zog sich 2024 aus dem öffentlichen Leben zurück.